Typisierungen sind bei Unternehmensbewertungen unumgänglich. Allerdings orientiert sich der deutsche Sonderweg im Umgang mit persönlichen Steuern bei Unternehmensbewertungen an einem atypischen Leitbild.
In Deutschland erfolgen Unternehmensbewertungen unter Berücksichtigung ertragsteuerlicher Einflüsse: Der Wert eines Unternehmens wird durch die Höhe der Nettozuflüsse an den Investor bestimmt, die er zu seiner freien Verfügung hat. Diese sind unter Berücksichtigung der Ertragsteuern des Unternehmens und der persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner zu ermitteln (IDW S 1 – 2008 – Tz. 28). Dadurch unterscheiden sich Unternehmensbewertungen in Deutschland von denen in anderen Ländern; so erfolgen Unternehmensbewertungen etwa in Österreich regelmäßig ohne Berücksichtigung persönlicher Steuern (KFS BW 1 – 2014 – Tz. 84).
Typisierungen
Der deutsche Sonderweg verlangt die wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner „sachgerecht“ zu typisieren:
„Bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Bewertungsanlässen (z.B. Squeeze Out) wird der objektivierte Unternehmenswert im Einklang mit der langjährigen Bewertungspraxis und deutschen Rechtsprechung aus der Perspektive einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner ermittelt. Bei dieser Typisierung sind demgemäß zur unmittelbaren Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern sachgerechte Annahmen zu deren Höhe sowohl bei den finanziellen Überschüssen als auch beim Kapitalisierungszinssatz zu treffen.“ (IDW S 1 – 2008 – Tz. 31)
Atypische Typisierungen
Dem Gesetzgeber ist es zur Regelung steuerlicher Sachverhalte verboten, Typisierungen am Leitbild atypischer Sachverhalte auszurichten:
„Der Gesetzgeber darf außerdem für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zu Grunde legen.“ (BVerfG vom 7. April 2015 – 1 BvR 1432/10 – Tz. 14)
Auf Unternehmensbewertungen bezogen bedeutet dies, dass der überwiegende Anteil der Aktionäre inländische unbeschränkt natürliche Personen sein müssten! Das krasse Gegenteil ist der Fall: Nach einer Studie des DIRK (Deutscher Investor Relations Verband) sank der Anteil deutscher Investoren an im DAX gelisteten Unternehmen von 17,1 Prozent in 2016 auf nur noch 15,3 Prozent in 2018. Der mit Abstand größte Anteil Investoren stammt aus Nordamerika (34,6 Prozent). Ganze 3,4 Prozent aller Aktien gehören dem norwegischen Pensionsfonds (Quelle: IHS Markit – DIRK: Who owns the German DAX? Juni 2019). Trotzdem verlangt der IDW, dass Unternehmensbewertungen am Leitbild inländischer unbeschränkt steuerpflichtiger Personen ausgerichtet werden.
Und noch ein Paradoxon: Für Zwecke der steuerlichen Behandlung hypothetischer Kursgewinne (Wertbeiträge aus Thesaurierungen) unterstellt der IDW eine typische Haltedauer von mindestens 25 Jahren. Für die Bestimmung der Marktrisikoprämie aber orientiert sich der IDW am arithmetischen Mittel, welches eine Haltedauer von „nur“ einem Jahr unterstellt.
Fazit
Typisierungen sind bei Unternehmensbewertungen unumgänglich. Allerdings dürfen dann nicht atypische Fälle zum Leitbild erkoren werden!